Von Peter Kapelari, erschienen im Bergauf-Magazin 02.2019
Es gibt leider immer noch Menschen, welche die rapide Klimaerwärmung als ganz normale, natürliche Schwankung oder gar Lüge abtun. Ein schneereicher Winter wie der heurige ist Argument genug, um weiter zu machen, wie bisher. Diese Taktik erinnert an ein Kind, das in die Hose macht, weil es dann so schön warm ist. Für den Alpenverein mit seiner alpinen Infrastruktur ist die Klimaveränderung jedoch längst ein unübersehbares Faktum!
Das, was wir in der Bergnatur beobachten, belegt und unterstreicht die Zahlen, die uns auch die langzeitigen Beobachtungen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik und diverse Universitätsstudien zeigen. Der Gletschermessdienst des Alpenvereins muss jedes Jahr von noch größeren Rückgängen berichten und immer noch traurigere Fotos von den Resten des „ewigen“ Eises präsentieren.
Hütten, die einst am Gletscherrand errichtet wurden sind heute weit von ihm entfernt. Das Auftauen des Permafrostes wird exakt beobachtet und zeigt eine rapide Beschleunigung. Und all jene, die sich eigentlich darüber freuen, dass unser Alpenklima vermeintlich immer mediterraner wird, erfahren durch die immer häufigeren Unwetterereignisse oder massive Dürreperioden doch wieder Ernüchterung.
Es hat sich was geändert! Als Flugsportler, der fast 30 Jahre mit möglichst viel sensiblem Erspüren die Thermik gesucht hat, getraue ich mich zu behaupten, dass das mehr an Energie in der Atmosphäre deutlich zu spüren und zu beobachten ist. Die durchschnittlichen Steigwerte sind ebenso massiv größer geworden, wie die Geschwindigkeiten des (bodennahen) Talwindes. Da wundert man sich nicht, dass Gewitter und Starkregenereignisse heftiger werden, dass hundertjährige Hochwässer statistisch schon alle 30 Jahre auftreten und dass Sturmereignisse immer öfter Schneisen der Verwüstung hinterlassen
Ohne Zweifel hat die Erwärmung kurzfristig auch positive Auswirkungen für unsere Hütten: Wenn in den südländischen Urlaubsdestinationen extreme Hitze, verdorrte Vegetation, Waldbrände und algenverpestete Stände zum Normalfall werden, steigt die Attraktivität der Berge, wo die Luft noch kühl, die Wiesen noch grün und das Wasser noch trinkbar sind. Es kommt noch dazu: Die Staustrecke zu den Alpen ist kürzer als jene zur Mittelmeerküste und der Aufenthalt in der Höhe ist sicher gesünder als irgendwo in der staubigen Bruthitze.
Was wir auch beobachten: In den letzten Jahren verzeichneten wir regelmäßig einen sehr langen, trockenen und warmen Herbst, der eine deutliche Verlängerung der Hüttensaison zumindest überlegen lässt, denn die Bergschuhe und Mountainbikes werden längst nicht mehr im Oktober eingewintert. Diese „Saisonverlängerung“ wird aber bislang wenig genutzt, denn irgendwann sind auch die Wirtsleute ausgelaugt und man weiß ja doch nie, ob es nicht sehr plötzlich zuschneit und man dann die Hütten nicht mehr winterfest machen kann bzw. die Vorräte über den Winter am Berg verderben.
Die eingangs erwähnten Phänomene wirken sich auf die alpine Infrastruktur natürlich massiv aus. So mussten schon etliche Wege wegen des auftauenden Permafrostes (zumindest temporär) gesperrt, aufgelassen oder verlegt werden. Dabei spielt vor allem eine größere Steinschlagaktivität, aber auch die Instabilität ganzer Hänge eine Rolle. Im Grenzbereich zu Gletschern steht man immer wieder vor neuen Problemen, wenn Randspalten oder freigewordener Gletscherschliffplatten nur schwer überwindbar sind.
Noch massiver belasten unsere Sektionen – und unseren Katastrophenfonds – jedoch die vermehrten Unwetterereignisse. Dabei werden immer häufiger Wege und Brücken weggespült – zuletzt aber leider auch eine Hütte, das Berghaus in der Walchen, ein über 300 Jahre altes Gebäude der Sektion Öblarn (Stmk.), das zur Hälfte den reißenden Fluten zum Opfer fiel. Auch Windwürfe betreffen unsere Wege in zunehmenden Maß. An dieser Stelle wollen wir uns bei unserem Partner, der Firma Handl Tyrol ganz herzlich bedanken. Handl Tyrol hilft uns bei der finanziellen Bewältigung derartiger Schäden.
Unsere Hütten sind durch die Klimaveränderung mehrfach betroffen. So verzeichnen wir in zunehmenden Maße Schäden durch Stürme und Blitzeinschläge. Was uns aber noch mehr Sorge bereitet sind extreme Trockenperioden, in denen den Hütten das Trinkwasser knapp wird oder gar ausgeht. Ohne Wasser kein Hüttenbetrieb! So musste im vergangenen Sommer sogar per Helikopter Wasser zur Kellerjochhütte geflogen werden, zwei Hütten in Vorarlberg wurden per Tankwagen vom Tal aus versorgt. Nachdem die letzten Gletscherreste verschwunden sind, müssen bei einigen Hütten lange Pumpleitungen von tieferliegenden Quellen gebaut werden. Dafür braucht es wieder viel Strom, der in der Inselsituation aufwändig hergestellt werden muss.
Mit dem Gletscherrückgang verändert sich aber auch viel für unsere Hochtouren- und Ausbildungsstützpunkte. Es erschwert die Vermittlung der richtigen Spaltenbergetechnik sehr, wenn die nächste Gletscherspalte Stunden weit entfernt ist! Die Hochtouren selbst werden auf den aperen Gletscherresten unattraktiver und gefährlicher, manche Gipfeltour und mancher Übergang sind durch das nunmehr lose, labil gelagerte Gesteinsmaterial schlicht nicht mehr möglich.
Der Alpenverein spürt die rasche Veränderung des Klimas im Gebirge deutlich! Es muss uns bewusst sein, dass die Prozesse und Wechselwirkungen viel zu komplex sind, als dass man die Folgen schon realistisch abschätzen könnte. Aber eines ist sicher: Die Probleme werden mittel- und langfristig überwiegen! Die volle Hose wird garantiert zu stinken beginnen! Und so ist die Politik und jeder Einzelne aufgerufen, den (eigenen) Beitrag zum Klimawandel zu verringern.
DI Peter Kapelari ist Leiter der Abteilung Hütten, Wege und Kartographie im Österreichischen Alpenverein.