Er war ein herausragender Kletterer, Erfinder des "Dülfersitzes" und Erstbegeher unzähliger Routen im Kaisergebirge und im Rosengarten. Im Jahr 2015 jährt sich Hans Dülfers Todestag zum 100. Mal.
Hans Dülfer: * 23. Mai 1892 in Barmen (Wuppertal); † 15. Juni 1915 bei Arras
"Bergauf-Bergab"-Filmemacher Michael Düchs begleitet Roland Hemetzberger bei der Erstbegehung seiner Route "Delirium" im Wilden Kaiser – und stellt dabei erstaunliche Parallelen zwischen dem jungen Oberbayern und seinem Vorbild Hans Dülfer fest.
aus den Mitteilungen des OeAV 1956, Heft 3, Seite 26
von Heinrich Klier
""Kletterstellen sind wie Etüden: Man muß sie üben und immer wieder üben, bis man sie auswendig kann", sagte der Pianist und Bergsteiger Hans Dülfer einmal zu einem seiner Gefährten. Dieses Wort läßt uns einen tiefen Blick in das Wesen dieses Menschen tun. Er war ein Künstler, am Klavier und im Kalkgestein. Er erhob als erster das Klettern zur Wissenschaft und durchgeistigte die Bewegung im Fels. Berge waren ihm unbehauene Blöcke, die es zu gestalten galt; in unerstiegene Wände schlug er wie ein Bildhauer seine Ideen von der stilreinen Durchkletterung.
Unermüdlich wie als Pianist war er auch als Kletterer, unermüdlich übte er, nachdem er erst einmal das hohe Ziel erkannt, unermüdlich schulte er sich und schuf sich so jenen unvergleichlichen Stil, in dem er dann in den vier Jahren seiner alpinen Wirkungs-Möglichkeit — anscheinend mit der größten Leichtigleit und Selbstverständlichkeit — von Erfolg zu Erfolg schritt.
Dülfer war der erste Kletterakrobat. Er war auch der erste ausgesprochene Techniker unter den Bergsteigern. Das höchste Ziel war ihm der stilreine Durchstieg zum Gipfel, das stilreine Kletterkunstwerk. Dazu war ihm jedes Mittel recht; deshalb stellte er sich in bewußten Gegensatz zu den Verächtern künstlicher Hilfsmittel. Trotz seiner Jugend war Dülfer kein Draufgänger: er kletterte mit dem Kopf. Er war feinnervig wie ein edles Pferd, ein Dolomitenführer sagte von ihm: "Dülfer klettert nicht, er streichelt den Fels".
Hans Dülfer erfand das Schrägabseilen; diese "Dülfer-Quergänge" waren das Zaubermittel, mit dem er den Bann der "unersteiglichen" Wände seiner Zeit gebrochen hat. Er erdachte den "Dülfersitz", den auch heute [1956, Anm.] noch meistverwendeten Abseilsitz.
Hans Fiechtl, Dülfers Gefährte auf vielen schweren Fahrten, verdanken die heutigen Bergsteiger die erste brauchbare Hakenform, Hans Dülfer aber die Lehre von der erfolgreichen Anwendung dieses Hakens: zur Sicherung und als Kletterhilfe, vor allem aber zur Ausführung seiner tollkühnen Quergänge. Mit Hilfe seiner Quergange verband Dülfer als erster Risse und Kamine zu Zielgeraden Durchstiegen. Sie waren der Schlüssel zu seinen aufsehenerregenden Erfolgen.
Unter den jungen Bergsteigern seiner Zeit galt Dülfer bald nach seinem ersten Erscheinen im Wilden Kaiser und in den Dolomiten als "Klasse für sich". Dabei war er keineswegs ein Draufgänger, der das Leben gering schätzte. Vielmehr hat er sich, wie kaum je einer, von Stufe zu Stufe planmäßig emporgearbeitet, was dank seiner ungewöhnlichen Kletterbegabung allerdings sehr rasch vor sich ging: 1910 unternahm er seine ersten Bergfahrten, drei Jahre später vollbrachte er bereits unerhörte Leistungen, wie die Durchkletterung des Risses zwischen der Fleischbankspitze und dem Christaturm (heute "Dülferriß" genannt) im Alleingang und die erste freie Erkletterung des Torre del Diavolo, ebenfalls im Alleingang.
Seine Ostwand der Fleischbankspitze und sein Weg durch die unmittelbare Westwand des Totenkirchls zählen heute zu den großen klassischen Kletterfahrten der Nördlichen Kalkalpen. Auch die Nordwestwand der Kleinen Halt und die Südwand der Odla da Eisles erfreuen sich größter Beliebtheit; jeder Begeher dieser Anstiege kann etwas vom ästhetischen Genuß des Erstersteigers nachgenießen.
Dülfer verband aber mit dem Genuß, den ihm diese bahnbrechenden Fahrten einbrachten auch ernste, gemeinnützige Ziele. In den letzten Sommern wandte er sich vor allem den am wenigsten bekannten Teil der Rosengartengruppe zu: dem Larsec-Stock. Er setzte sich die vollständige Erschließung dieser einsamen Berge in den Kopf und begann bereits mit der Niederschrift einer "Monographie der Larsec-Gruppe". Dem allen hat der Erste Weltkrieg mit schroffer Hand ein Ende gemacht.
Dülfer war schmal und groß, fast hager. Als Gymnasiast mußte er mehrmals zur Erholung aufs Land und wurde seiner schwächlichen Gesundheit wegen sogar vom Turnen befreit. Seine Art war schlicht und still; alle Großsprecherei haßte er; aus diesem Grunde hat er auch selbst beinahe nichts veröffentlicht. Er schloß sich sehr schwer und erst nach eingehender Prüfung an jemanden an; niemanden ließ er einen Blick in sein Inneres tun. Seinen Freunden bleibt sein äußeres Bild unvergeßlich: der sonnengebleichte, hellblaue Leinenjanker, die halblange, kleine, strohumflochtene Pfeife, der ausgeprägte, hochstirnige Schädel mit der schmalen, kantigen Schläfenpartie, den "Gelehrtenwinkeln" und dem zurückgestrichenen Haarbusch.
Hans Dülfer war Rheinländer, 1893 in Dortmund geboren. Er studierte
Musik. Als 14jähriger Junge kam er 1907 zum ersten Mal in die Berge, in
die Allgäuer Alpen. Aber erst 1910 durfte er wiederkommen, um richtige
Fahrten zu unternehmen. Das war in der Silvretta, in Begleitung des
Vaters und eines Führers. Bereits seine ersten Schritte im Gebirge
machte Hans Dülfer mit solcher Sicherheit, daß der Führer bald
heimgeschickt wurde, und der Junge die Führung übernahm. Diese
Sommertage in der weißen Silvretta entschieden über sein ganzes weiteres
Leben. Hans übersiedelte bald darauf von Dortmund nach München, um den
Bergen näher zu sein.
In München begann er, Medizin zu studieren. Hier trat er auch der Sektion Bayerland bei,
Hans Fiechtl wurde sein alpiner Lehrmeister, später sein Freund,
zuletzt sein Seilgefährte; er hat mit Fiechtl u. a. die Hochiß-Nordwand
im Rofangebirge bezwungen. In München bildete sich um Hans Dülfer und
Paul Preuß rasch ein Freundeskreis, dem Bergsteiger wie Schaarschmidt,
v. Redwitz, Guttsmann, die Brüder Bernuth und Schmidkunz angehörten. Das
war die sogenannte "Firma"; als "stille Teilhaberin" gehörte die ihm in
enger Freundschaft verbundene Hanne Franz dazu, die ihn auf vielen
seiner Bergfahrten begleitete.
Sein bester Kamerad aber war sein Vater, Emil Dülfer,
mit dem er zahlreiche schwere Fahrten durchgeführt hat. Der Vater hat
den Tod des Sohnes (Juni 1915) nicht verwinden können. Seit Juli 1916
blieb er verschollen. Er hat wahrscheinlich in einem unzugänglichen
Winkel des Reichenhaller Lattengebirges den Tod gesucht."
"Künstliche Hilfsmittel auf Hochtouren" von Hans Dülfer, aus den Mitteilungen des DuOeAV, 1913
"Nachruf Hans Dülfer", aus den Mitteilungen des DuOeAV, 1915
"Zum Gedenken Hans Dülfers", aus den Mitteilungen des DuOeAV, 1925