Seen gehören zur alpinen Landschaft genauso wie Gipfel, Grate und Gletscher. Gelegen am Talende oder versteckt in Karen sind sie beliebte Wanderziele und oft spektakuläre Landschaftselemente. Seen sind aber auch ein Hinweis auf den Klimawandel, denn sie entstehen, wenn die Gletscher abschmelzen.
Beitrag von Jan-Christoph Otto
Die Erosionskraft der Gletscher ist für die Entstehung der meisten Gebirgsseen verantwortlich. Das fließende Gletschereis zusammen mit mitgeführtem Gestein am Gletscherbett schleift und bricht den Fels ab. An bestimmten Stellen, in Karen oder wo zwei Gletscherzungen zusammenfließen, können dadurch Becken im Fels ausgehöhlt werden. Diese füllen sich nach dem Abschmelzen der Gletscher mit Wasser. Bildet ein vorstoßender Gletscher einen Moränenwall aus, kann dieser auch als Staudamm für einen See fungieren. Mehr als 95 % der Hochgebirgsseen in Österreich sind durch die Gletscher entstanden. Auch Bergstürze und Muren können Seen im Gebirge bilden, wenn die Schuttmasse im Tal einen Bach aufstaut, wie zuletzt geschehen im August 2017 im Kleinarltal, Salzburg.
Mehr als 1.400 Hochgebirgsseen gibt es derzeit in Österreich (oberhalb von 1.700 m, größer als 1.000 m²). Der Großteil der Seen existiert schon seit dem Ende der Eiszeiten vor mehr als 12.000 Jahren. Sie sind damit Zeugen der Klimaveränderung im Übergang von der letzten Kaltzeit zur jetzigen Warmzeit. Sie haben überdauert in Karen und Tälern, die seitdem nicht mehr vereist gewesen sind. In jüngerer Vergangenheit sind wieder neue See entstanden, die sich dort gebildet haben, wo die Gletscher seit dem Ende der sogenannten kleinen Eiszeit Mitte des 19. Jahrhunderts abgeschmolzen sind. Mehr als 150 neue Seen sind seitdem dazugekommen, wobei die Geschwindigkeit, mit der neuen Gletscherseen entstehen, seit den 1980er Jahren deutlich zugenommen hat. Gletscherseen sind somit eine weitere Folge der stark ansteigenden Temperaturen und ein sichtbarer Beweis des Klimawandels im Hochgebirge.
Computersimulationen ermöglichen „Früherkennung“
Wo werden nach dem Abschmelzen der Gletscher in Zukunft neue Hochgebirgsseen entstehen? Das war die zentrale Fragestellung des Forschungsprojektes FUTURELAKES der Universität Salzburg, gefördert durch die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Zusammen mit Kollegen der Georesearch GmbH (Wals), des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung (IGF, Innsbruck), der Zentralanstalt für Meteorologie und Geophysik (ZAMG, Wien) und der Universität Fribourg (Fribourg, CH) entwickelten die Forscher Modelle der Erdoberfläche, die heute noch unter den Gletschern verborgen liegen. Diese Modelle entstanden am Computer durch die Simulation der Eisdicke für alle Gletscher Österreichs. In der möglichen zukünftigen Landoberfläche wurden anschließend Senken gesucht, die in Zukunft als Seen in der Landschaft vorliegen können. Die Ergebnisse zeigen, dass 40–70 neue Gletscherseen im Bereich der heutigen Gletscher entstehen können. Welche davon wirklich in Zukunft existieren werden hängt davon ab, ob Sie schon unterm Eis mit Sediment gefüllt werden, oder wie schnell sie während der Freilegung zugeschüttet werden. Diese Entwicklungen lassen sich derzeit nicht vorausberechnen. Die Ergebnisse geben aber einen Hinweis auf die mögliche Anzahl, Position und Größe der zukünftigen Seen.
Seen im Hochgebirge haben eine besondere Bedeutung für Umwelt und Gesellschaft. Sie sind Wasserspeicher und Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen. Neu entstandene Seen, die sich noch in Gletschernähe befinden, weisen oft einen sehr geringen Nährstoffgehalt auf und erhalten viel Sedimenteintrag durch den Gletscher. Daher rührt die oft trübe Färbung des Wassers. Im See ist die Fließgeschwindigkeit des Wassers so stark reduziert, dass im Wasser transportierte Stoffe größtenteils abgelagert und nicht ins Tal weitergeführt werden. Die Menge an eingetragenem Sediment und das Volumen des Sees steuern in weiterer Folge, wie lange ein See existiert, bevor er komplett mit Gestein gefüllt ist. Seen, die seit tausenden von Jahren existieren, weisen auf sehr geringen Eintrag von Sediment aus dem Einzugsgebiet hin. Seen in Gletschernähe sind dagegen oft innerhalb weniger Jahren komplett verfüllt.
Neben der ästhetischen Bedeutung der Seen als Landschaftselement und Wanderziel werden Seen vom Menschen vor allem für die Energieproduktion durch Wasserkraft genutzt. Alle großen Stauseen in den österreichischen Alpen befinden sich an Orten, wo vorher schon natürliche Seen vorgelegen haben. Die neu entstandenen Seen erweitern das Energiepotential der Berge, stehen aber somit auch in Konflikt zu den Bedürfnissen, die Hochgebirgslandschaft unter besonderen Schutz zu stellen. Mit Hinblick auf die zunehmende Rolle der Wasserkraft und Wasserspeicherung im Zuge des Umbaus weg von fossilen Energieträgern, werden hier sicherlich in Zukunft neue Staudammprojekte für eine gesellschaftliche Debatte sorgen. Die hochgelegenen Seen erfüllen in der Zukunft noch eine andere wichtige Funktion. Wenn die Gletscher verschwunden sind, kann es im Sommer zu Wassermangel in Flüssen kommen, da das Schmelzwasser der Gletscher fehlt. Hochgebirgsseen können zu einem gewissen Teil diese Rolle als Wasserspeicher für die Wasserversorgung der Flüsse und auch als Hochwasserschutz in der Zukunft übernehmen.
Gletscherseen sind auch potentielle Gefahrenquellen. Bei Gletscherseeausbrüchen können extreme Flutwellen entstehen, wenn es zum Versagen des Damms kommt oder ein großes Niederschlags- oder Felssturzereignis Wasser und Material in den See verfrachtet und das Wasser verdrängt wird. Solche Ereignisse haben ein großes Zerstörungspotential und erzeugen Überflutungen, die weit über ein normales Hochwasser hinausgehen. Historische Beispiele für Gletscherseeausbrüche in Österreich gibt es vor allem aus dem Ötztal, wo es im 16. und 17. Jahrhundert wiederholt zu katastrophalen Überschwemmungen durch einen Gletschersee am Vernagtferner gekommen ist.
In jüngster Zeit sind in Österreich nur wenige Überschwemmungen an Seen entstanden. Am Sulzenauferner im Stubaital, Tirol, brach ein Teil des Moränendamms am Sulzenausee während eines Unwetters ein. Der Seespiegel senkte sich innerhalb kürzester Zeit und die entstandene Hochwasserwelle führte zu Schäden der Wasserversorgung und am Kleinkraftwerk der Sulzenauhütte. Die Auftretenswahrscheinlichkeit von Gletscherseeausbrüchen ist klein, könnte aber durch neue Seen und mit Hinblick auf die vorausgesagten Veränderungen durch den Klimawandel, wie zunehmende Starkregenereignisse und auftauender Permafrost, größer werden. Verschärft wird die Situation zudem, da die zukünftigen Seen immer weiter oben entstehen und sie somit viel näher an den Felswänden und Gipfelbereichen liegen, wo sich Felsstürze zum Beispiel aufgrund von Permafrosttauen oder Gletscherschmelze ereignen können.
Hochgebirgsseen werden die zukünftige Hochgebirgslandschaft nach dem Abschmelzen der Gletscher mitprägen. Sie bieten neue Nutzungspotentiale, die auch dazu beitragen, Folgeerscheinungen des Klimawandels zu mildern. Es können aber auch Nutzungskonflikte und neuen Gefahrensituationen entstehen. Daher sollten ihre Entwicklung und die Veränderungen in ihrer Umgebung in Zukunft stärker unter Beobachtung stehen um negative Auswirkungen zum Beispiel durch das Auftreten von Naturkatastrophen zu verhindern.
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