An den richtigen Umgang mit LVS-Gerät, Schaufel und Sonde kann man zweifellos nicht oft genug – egal ob in Form von Artikeln, Videos oder in Ausbildungskursen – erinnern. Meistens ist dann aber leider genau dort Schluss, wo es wirklich ans Eingemachte geht: Bei der Ersten Hilfe im Notfall Lawine.
Von Gerhard Mössmer
Die Berge sind weiß angezuckert, die Tage werden kürzer und die Werbung für Lawinennotfallausrüstung in den einschlägigen Medien wird mehr: Ein untrügliches Zeichen dafür, dass wieder einmal der Winter vor der Tür steht und es höchste Zeit ist die Verschüttetensuche zu trainieren.
Kameradenrettung UND die darauffolgende 1. Hilfe muss – in lebensbedrohlichen Fällen ausnahmslos – von uns selbst durchgeführt werden. Nur leider wird das nicht, oder nur sehr unzureichend thematisiert geschweige denn trainiert.
Klar, dieses Ziel hat oberste Priorität ist hoffentlich allen bekannt. Im Training sind wir aber fast immer mit einem Rucksack und nicht mit einer Reanimationspuppe als „Opfer“ konfrontiert, weshalb wir uns schwer tun, dieses Szenario richtig zu trainieren.
Im Ernstfall ist es relativ unwahrscheinlich, dass wir sofort auf den Kopf stoßen. Sind wir - entlang der Sonde - bei einem Körperteil angelangt, müssen wir schnell, aber behutsamer weiterschaufeln, bis wir beim Kopf sind. Am Köperteil ziehen, um so den Verunfallten aus dem Schnee zu bergen, funktioniert leider nur beim Rucksack oder der Puppe, aber sicher nicht in der Realität.
Haben wir Glück, liegt der Körper mit dem Gesicht nach oben und wir können die letzten Schneereste vor dem Gesicht vorsichtig mit den Händen entfernen. Jetzt müssen wir den Notfall-Algorithmus nach dem (Cr*)ABCDE-Schema abrufen und anwenden.
Ist die Person ansprechbar und reagiert sie auf Weckreize wie zwicken etc. ist sie bei Bewusstsein. Damit sind die Punkte
Wir graben den Verunfallten weiter aus und checken anschließend
Dabei wird abgeklärt, ob Verletzungen, z. B. an der Wirbelsäule oder am Kopf vorhanden sind:
Mögliche Anzeichen für Probleme können Kribbeln oder Bewegungsstörungen in Armen und/ oder Beinen sein, Erbrechen, Übelkeit und Schwindel. Ist dies der Fall müssen wir besonderes Augenmerk auf einen vorsichtigen Umgang mit dem Patienten und auf eine schonende Lagerung legen. Zum Abschluss kontrollieren wir noch
ob noch weitere Verletzungen sichtbar sind und versorgen diese im Fall.
Ist der Check abgeschlossen, setzen wir alles daran, dass die Person bis zum Eintreffen der organisierten Rettung nicht weiter auskühlt. Dafür verwenden wir die Alurettungsdecke, die wir – möglichst zentral und körpernah unter der Bekleidung - über Kopf, Rücken und Bauch wickeln. Anschließend stülpen wir den Biwacksack so über die Person, dass sie – möglichst im Lee - vor Wind und Nässe geschützt ist und setzen bzw. legen sie schonend auf eine isolierende Unterlage, wie z. B. den Rucksack. Selbstverständlich kümmern wir uns dabei solange um die Person, bis die Rettungskräfte eintreffen.
Ist die Person nicht ansprechbar, müssen wir die Atemwege (A - Airways) kontrollieren.
Erst jetzt wird der Kopf überstreckt und mit dem eigenen Ohr nahe am Mund des Verunfallten kontrolliert, ob eine Atmung (B - Breathing) vorhanden ist. Zudem beobachten wir mit aufgelegter Hand, ob sich der Brustkorb hebt und senkt. Ist die Atmung normal, können wir die Person weiter ausgraben, sie wiederum vor Auskühlung schützen und in die stabile Seitenlage bringen. In diesem Fall ist es umso wichtiger, dass eine Person beim Verunfallten bleibt, um allenfalls bei Atemstillstand sofort mit der Reanimation beginnen zu können.
Können wir keine Atmung feststellen, beginnen wir – noch bevor wir weiter ausschaufeln – sofort mit 5 initialen Atemspenden. Dazu bleibt der Kopf überstreckt und mittels Mund-zu-Mund-Beatmung wird in der eigenen Atemfrequenz so viel Luft in die Lungen geblasen, dass sich der Brustkorb deutlich hebt und senkt.
So schnell wie möglich schaufeln wir weiter und sobald es die Situation zulässt und wir den Körper auf hartem Untergrund lagern können, beginnen wir mit der Herzlungenwiederbelebung – auch CPR (Cardiopulmonary Resuscitation) genannt - im Rhythmus 30 Thorax-Kompressionen zu 2 Atemspenden.
Herzlungenwiederbelebung
Dabei liegt der Druckpunkt – schnell und einfach zu finden - in der Mitte des Brustkorbs und die Drucktiefe beträgt ca. 5 cm. Um effizient und tief genug komprimieren zu können, müssen dicke, weiche Bekleidungsschichten geöffnet werden.
Bei einer Frequenz von 100 Kompressionen pro Minute (das entspricht bezeichnenderweise dem Takt von „Staying alive“ von den Bee Gees) ist in den Pausen auf eine vollständige Entlastung zu achten. Idealerweise können wir uns bei der Reanimation abwechseln, da diese sehr anstrengend ist.
Die Herzlungenwiederbelebung wird solange durchgeführt bis 1. der Betroffene wieder normal atmet, 2. die organisierten Rettungskräfte eintreffen oder 3. die Ersthelfer am Ende ihrer Kräfte sind.
Nicht nur in den Köpfen der Skitourgeher und Freerider, sondern auch in jenen der Multiplikator muss fest verankert sein, dass wir und nicht die Bergrettung im echten Notfall diejenigen sind, die mit unserem Wissen und Tun - sei es vorbereitend in Kursen, oder letztendlich als Erstretter am Berg - Leben retten können. Also: Wer A zur Ausbildung im Bereich Bergsport sagt, muss auch B wie Bereit zur 1. Hilfe sagen.
Zum Autor: DI Gerhard Mössmer ist Berg- und Skiführer, Bergretter und in der Abteilung Bergsport des Österreichischen Alpenvereins für Publikationen zuständig.