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Mehr Mut & Zuversicht: Fachsymposium Verantwortung ermöglichen (Interview: Für Mehr Mut & Zuversicht)

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Mehr Mut & Zuversicht: Fachsymposium Verantwortung ermöglichen

[11.10.2019] Gedanken über Kinder auf der Überholspur, die Kraft unproduktiver Zeiten und die Notwendigkeit von Beziehung in Risikoerfahrungen. Nicole Slupetzky, Bundesjugendleiterin und Vizepräsidentin des Alpenvereins, im Gespräch mit drei Impulsgebern unseres Fachsymposiums: Nicole Strüber (Neurobiologin), Claudia Pötzl (Elementarpädagogin) und Gerald Koller (Risikopädagoge).

Foto: Alpenvereinzoom

Wir  können  nicht  so  weitermachen  wie  bisher. Alternativen für eine nachhaltig wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung auf globaler und lokaler  Ebene  sind  überfällig.  Aktuelle gesellschaftliche Turbulenzen  benötigen  souveräne Zukunftsgestalter, die bereit sind, Verantwortung zu über-nehmen: für sich selbst, für ihre Lebenswelt im Kleinen, für das große Ganze. Dafür ist es wichtig, dass wir Kinder und Jugendliche bestärken, sich auszuprobieren, ihre Grenzen zu erproben, zu ihrer Meinung zu stehen, auch einmal Nein zu sagen. Die Alpenvereinsjugend hat als ihre Ziele und Aufgaben „die Förderung der Gemeinschaft und der Entwicklung eigenverantwortlicher Persönlichkeiten“ definiert. Ein Ziel, das wir als Gesellschaft vermehrt aufs Spiel setzen.

Verantwortungsvolles Handeln entsteht nicht von selbst

Eine  entwicklungshemmende Sicherheitskultur drängt in Kinderkrippen,  Kindergärten,  Schulen und Jugendarbeit. Eltern beschützen und überfördern ihren Nachwuchs weit über ein gesundes Maß hinaus. Mit Folgen: Pädagogen, Psychologen, Mediziner, aber auch Unternehmer machen sich Sorgen um den Gesundheitszustand und die Zukunftsfähigkeit einer ganzen Generation. Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung zu selbständigen und verantwortlichen Persönlichkeiten zu begleiten, scheint zunehmend schwieriger. Doch stimmt das wirklich? Teilweise, vielleicht  auch  Ansichtssache.  Ganz allgemein: Wir brauchen wohl mehr Mut und Zuversicht, mehr gesunde Risiken und Gelassenheit im pädagogischen Alltag, in Familie, Kinderbetreuung, Schule und Jugendarbeit.

Foto: Alpenvereinzoom
 

Interview: Für mehr Mut und Zuversicht

Frau  Strüber,  die  Hirnforschung hat schon lange belegt, wie wichtig es ist, dass Kinder Freiräume brauchen, auch um ihre Kreativität zu entwickeln. Warum fällt es so schwer, die-se Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen?

Vielleicht ist die Interpretation einer weiteren Erkenntnis der Hirnforschung mitverantwortlich dafür. Und zwar des Befundes, dass es in der frühen Kindheit sensible Perioden der Gehirnentwicklung gibt, während derer das Gehirn besonders aufnahmebereit für Erfahrungen und Lernen ist. Dies hat den gegenwärtigen Umgang mit Kindern sicherlich sehr beeinflusst. Das hat eine richtige Förderindustrie hervorgebracht. Eltern, die als Erwachsene ohnehin gewohnt sind, ihre Zeit optimal zu nutzen und unproduktive Zeit zu vermeiden, werden durch Werbung für babygerechte Förderprodukte dazu angehalten, schon ihre Babys mit gezielter Förderung auf die Überholspur zu bringen. Tun dies viele, sind auch diejenigen verunsichert, die ihre Kinder eigentlich nicht auf der Überholspur sehen wollen. Die Angst schwingt mit, das eigene Kind könnte gegenüber den geförderten Kindern zurückfallen. Und Eltern bekommen ein schlechtes Gewissen, wenn ihre Kinder unpro­duktive Zeiten haben. Dabei sind es genau die Zeiten, die ein Kind – in diesen sensiblen Perioden – für eine gesunde Entwicklung braucht.

Frau  Pötzl,  Kinder  auf  der  Überholspur lernen schon im Mutterleib eine Fremdsprache. Im Gegensatz dazu stellte der Pädagoge Friedrich Fröbel schon Anfang des 19. Jahrhunderts fest, dass das Spiel die typische kindliche Lebensform ist und einen hohen Bildungswert hat. Wie sehen sie den Widerspruch von elterlicher Förderwucht und Kind sein?

Es ist eigentlich traurig, dass sich gerade in der Elementarpädagogik in den letzten Jahren sehr viel vermischt hat. Gerade heutzutage, in unserer oft medial vermittelten und reizüberfluteten Welt, ist für ein Kind im Alter zwischen ein bis sechs Jahren ein kindzentrierter Ansatz im Kindergarten von großer Bedeutung. Das heißt vor allem, dass die Interessen der Kinder vom pädagogischen Fachpersonal wahrgenommen und im Alltag aufgegriffen und vertieft werden. Solange das Kind sich spielerisch  unterschiedlichen Themen widmen kann, Neugierde zeigt und offen ist für Neues, ist dies meines Erachtens die beste Voraussetzung dafür, sich auch in Hinblick auf weitere Lebenssituationen oder den Schuleintritt vorzubereiten. Gerade die Eltern sehen den Kindergarten einerseits als Betreuungseinrichtung und fordern lange Öffnungszeiten. Andererseits werden elementar-pädagogische Einrichtungen als Bildungseinrichtung verstanden und somit höhere Erwartungen an das pädagogische Personal gestellt.  Ebenso werden von den Behörden immer mehr schriftliche Planungen, Sprachförderungsprogramme, Beobachtungsbögen etc. gefordert. Es ist aber dringend notwendig, unterschiedliche Lebensphasen nicht zu überspringen, sondern in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen. Kinder sollten daher gerade im elementarpädagogischen Bereich vorrangig auf sogenannte „Alltagskompetenzen“ und selbständiges Handeln vorbereitet werden!

Herr Koller, Sie beschäftigen sich ja schon sehr lange mit dem Thema Risiko und Wagnis. Wann nehmen wir Menschen das erste Mal die Unsicherheit und eine Herausforderung wahr?

Unser erstes Wagnis, unsere erste frei gewählte Risikoerfahrung war unser erster Schritt, dem viele hunderttausende folgen sollten. Wie lernen kleine Menschen nun das Gehen? Nicht durch die Lektüre einer Informationsbroschüre; nicht dadurch, dass Eltern die Füße der Kleinen zum Gehen zwingen – und auch nicht durch moralische Zeigefinger, Angstparolen und Tabus. Den ersten Schritt ins Risiko – und da-mit in die Lebensfähigkeit – wagen und schaffen wir alle, wenn uns die begleiten, die uns lieben, und uns dabei Raum lassen, in dem wir unsere Erfahrungen machen können. Wie wir Eltern bei den ersten Schritten unserer Kinder und mit dem damit verbundenen Risiko umgegangen sind, kann als pädagogisches Modell für alle ersten Schritte im Leben dienen: Risiko braucht Beziehung!

Um  Beziehung  aufzubauen,  braucht  es  natürlich  auch  verantwortungsbewusste Eltern, die ihren Kindern den nötigen Freiraum geben. Wie entwickeln Kinder soziale Fähigkeiten?

Nicole  Strüber:  Damit  ein  Kind soziale Kompetenzen erwirbt, muss es seine eigenen Gefühle identifizieren und regulieren können und es muss die Perspektive anderer Menschen gut erkennen und mit ihnen mitfühlen können. Es muss zudem eine Motivation verspüren, sich mit anderen sozial zu engagieren und ihnen zu helfen. Diese Fähigkeiten beginnen sich schon in den allerfrühesten Beziehungen des Kindes, die es ja in der Regel mit seinen Eltern hat, zu entwickeln. Die Eltern spiegeln seine Gefühle, trösten es, zeigen ihm Strategien, mit übermäßigen Gefühlen um-zugehen, benennen ihre eigenen und so weiter. Dieses Miteinander fördert die Entwicklung von Verbindungen zwischen Hirnstrukturen, die für die genannten Fähigkeiten wichtig sind.
Claudia Pötzl: Kinder brauchen Urvertrauen, das entsteht, wenn man ihnen etwas zutraut. Kinder sollen die Möglichkeit erhalten, selbst Entscheidungen zu treffen, im Freispiel ihre Konzentration fördern, aber auch ihren Bedürfnissen und Vorlieben nachgehen können.  Kinder sollen lernen, Arbeitsschritte von Anfang bis zum Ende durchzuführen, und die Möglichkeit erhalten, entsprechend mitzubestimmen. Auch brauchen Kinder die Möglichkeit, Natur und Umwelt selbst zu entdecken. 

Frau Pötzl, Sie haben Erfahrungen in japanischen und österreichischen Kindergärten. Gibt es etwas, was wir von Japan übernehmen könnten?

In Japan hat man viel Vertrauen und damit Respekt vor den pädagogischen Fachkräften, was sich auch auf politischer Ebene widerspiegelt und auch in höheren Gehältern erkennbar ist. 

Leider geht in der Schule ja häufig der Spaß an der Kreativität und der Bewegung verloren. Auch diese Fächer werden benotet und einige Kinder gelten als begabter als andere. Aber sind  aus  wissenschaftlicher Sicht nicht alle Kinder kreativ und sollte das nicht gerade besonders gefördert werden?

Nicole Strüber: Sicher sind alle Kinder, die in einer ressourcenreichen Umwelt aufwachsen, kreativ, musikalisch und interessiert. Nichtsdestotrotz gibt es Unterschiede im Ausmaß. Die eigenen Gene können sich z. B. darauf aus-wirken, wie musikalisch ein Kind ist, wie gut es sich an Musikstücke erinnern kann und auch wie kreativ es ist. Und dann Erfahrungen! Dabei ist es aber nicht nur so, dass das regelmäßige Spielen eines Instruments über einen Einfluss auf das Gehirn die Musikalität fördert. Darüber hinaus beeinflussen auch hier Erfahrungen, die gar nichts mit speziellen Fähigkeiten zu tun haben, wie begabt oder kreativ ein Kind ist. Erhält ein Kind eine liebevolle und feinfühlige Fürsorge und macht positive Bindungserfahrungen, dann entwickelt es ein gut unktionierendes Oxytocinsystem. Und dieser Stoff kann divergentes Denken und Kreativität fördern. Es zeigt also wieder, dass es Urvertrauen und gute Bindungen zu Erwachsenen braucht. 

Es bestätigt, welche Verantwortung auch wir den Kindern gegen-über haben. Herr Koller, der erste Schritt, den ein Kind lernt, wiederholt sich ja immer wieder. Wir müssen in vielen Situationen im Leben den ersten Schritt machen. Ist es nicht auch manchmal gut, Angst zu haben, auch als Eltern natürlich? 

Gerald Koller: Jeder Neubeginn ist ein solch neuer Schritt. Ängste derer, die diesen Schritt begleiten, sind da zwar verständlich, helfen aber nicht, ihn gelingen zu lassen. Vielmehr hilft das direkte und offene Gespräch und ehrliches Interesse und Verständnis statt sich selbst erfüllende, dunkle Prophezeiungen.  So können junge Menschen wie auch alle, die sie begleiten, eine Kultur der differenzierten Wahrnehmung und Beurteilung entwickeln, die unseren Entscheidungen zugrunde liegen sollte – sind wir doch nicht umsonst mit Gehirnarealen ausgestattet, die unsere Existenz in Gefahrenmomenten sichern, und solchen, die uns für die aktive Auseinandersetzung mit Risiken, also mit Unsicherheit, ausrüsten ... Was Eltern bei den ersten Schritten ihrer Kinder noch getan haben? Sie haben zwischen existenzbedrohender Gefahr und der Unsicherheit des Risikos unterschieden. Dies gilt für jede neue Lebensphase: Gefahr will vermieden, Risiko aber will wahrgenommen werden. Als Potential des Lernens.

Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind vieles durfte, meine Eltern nahmen uns früh in die Berge mit, wir durften uns ausprobieren,  Baumhäuser  bauen, mit einem LKW-Reifen den Fluss hinunterfahren, alles ohne Aufsicht der Eltern. Ich habe die Chance bekommen, Grenzen auszuloten und mutig zu werden, aber gleichzeitig das Risiko einzuschätzen. An welche Erlebnisse können Sie sich erinnern, die prägend waren?

Claudia Pötzl: Ich durfte ebenfalls viel Zeit, teilweise auch unbeaufsichtigt, im Freien und im eigenen Garten oder mit gleichaltrigen Freunden im Wald verbringen, also sehr ähnlich. Wir haben Lager gebaut, Blindschleichen gefangen und Cremen aus Waldkräutern hergestellt!
Nicole Strüber: Ich habe in meiner Kindheit die Woche in der Stadt verbracht, die Wochenenden jedoch auf dem Lande. Merkwürdigerweise kann ich mich vor allem an Episoden auf dem Land erinnern. Daran, dass wir auf dem Rückweg vom Wald immer über die Kuhwiesen gerannt sind und ich dabei mehr als einmal in einen frischen Kuhfladen getreten bin, daran, dass uns auf einem Waldweg einmal ein recht aggressiv dreinschauender riesiger Bulle gegenüberstand und wir in einen Graben flüchteten, oder auch daran, dass wir im Maisfeld gespielt haben und danach immer Käfer oder Spinnen in den Haaren hatten. 
Gerald Koller:  Mir steigt eine Erinnerung an meine Oma auf, die mit mir die Kalkfelsen südlich  von  Wien  hochkletterte.  Ganz ohne Seil, denn sie hatte viel Wichtigeres dabei: Empathie, die ermessen konnte, wie viel meinem kindlichen Können zumutbar war, und mir, mit der Erfahrung dieser Balance von Potential und Herausforderung, die Tür zum Leben öffnete.

Interessant, dass alle Erlebnisse mit dem Erleben in der Natur zu tun haben. Das finde ich eine schöne Bestätigung für unsere Tätigkeit bei der Alpenvereinsjugend. Wir werden auch weiterhin darauf achten, dass Kinder und Jugendliche die Möglichkeit bekommen, Abenteuer  zu  erleben,  wie  wir es durften. Eines möchte ich aber doch noch fragen: Was war eure Lieblingsfigur als Kinder oder Jugendliche? Herr Koller, bitte zuerst:  

Gerald Koller: Der Archetyp des Schaffners, des kundigen Reisebegleiters! Auch der wirkt heute noch in mir ...
Nicole  Strüber:  Ganz  klar,  Pippi Langstrumpf! Ich habe sie mit ihrer selbstbewussten Haltung, ihrer körperlichen Stärke, ihrer Frechheit und ihrem liebevollen Wesen geliebt und die Bücher immer wieder gelesen. 
Claudia Pötzl: Dem schließ ich mich an. Pippi Langstrumpf, voller Phantasie, Kreativität und Lebensfreude. Sie hatte für alles und jederzeit eine Lösung parat. 

Pippi Langstrumpf hat uns also alle geprägt. Wir – in der Alpenvereinsjugend – werden weiterhin darauf schauen, dass Kinder diese Lebensfreude und Freiheit in der Natur, speziell in den Bergen, erleben dürfen und damit Verantwortung ermöglichen. Danke, Frau Strüber, Frau Pötzl, danke Gerald. Ich freue mich darauf, Sie bei unserem Symposium im November in Wien begrüßen zu dürfen.

Nicole Slupetzky ist Bundesjugendleiterin und Vizepräsidentin des Alpenvereins.

Matthias Pramstaller ist Mitarbeiter der Alpenvereinsjugend.

Details: Fachsymposium Verantwortung ermöglichen

Anstiftung zu mehr Mut und Zuversicht in Familie, Kinderbetreuung, Schule und Jugendarbeit. 
29.11.2019, 11–18 Uhr, Wien, Schloss Schönbrunn

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