„Es ist Zweck des Vereines, das Bergsteigen, alpine Sportarten und das Wandern zu fördern und zu pflegen, … die Schönheit und Ursprünglichkeit der Bergwelt zu erhalten … er ist dem alpinen Natur- und Umweltschutz verpflichtet“ (Satzung des ÖAV, § 2 Abs. 1).
Es sind überwiegend emotionale Gründe, die uns in die Berge führen. Aber wir bewegen uns meist auf gebahnten Wegen, suchen Schutzhütten auf und erwarten Hilfe im Notfall. Und wir fragen uns, ob die Eigenverantwortung nicht dort ihre Grenzen findet, wo sich Unfälle durch grob schuldhaftes Verhalten Dritter ereignen.
Die Eigenverantwortung der Bergsteiger, also das Einstehen für eigenes Tun oder Unterlassen, und das Tragen der Konsequenzen – entsprechend dem liberalen Ideal eines mündigen, selbstbestimmten Menschen – werden von der Rechtsprechung sehr hoch bewertet. Daraus folgt, dass man selbst das Risiko trägt, wenn man sich in alpines Gelände begibt. Wanderer oder Bergsteiger müssen wissen, dass sie im Gebirge mit spezifischen wetter- und geländebedingten Gefahren zu rechnen haben.
Bei geführten Touren wird ein Teil dieser Verantwortung an entsprechend ausgebildete und qualifizierte Tourenführer delegiert. Deren Verantwortung für die ihnen Anvertrauten ist besonders hoch einzustufen.
Diese hohe Eigenverantwortung der Wanderer und Bergsteiger darf nicht überspannt werden. Wir bewegen uns nämlich auch im Gebirge nicht im rechtsfreien Bereich. Am Beispiel der alpinen Wege soll dies näher erläutert werden.
Die meisten Bergwege – und Schutzhütten – wurden von den alpinen Vereinen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges gebaut, und zwar so, dass der Eingriff in die unberührte Natur möglichst gering ausfiel. So erhielten die Wege (Steige) ihren spezifischen Charakter: Meist steil, schmal, stufig, steinig, ausgesetzt, kaum mit Einbauten (Sicherungen) versehen. Wer diese Wege beging, setzte sich bewusst dem Risiko alpiner Gefahren aus.
Jahrzehnte später, gleichzeitig mit dem ForstG 1975, wurde diesem Umstand Rechnung getragen, als im § 1319a ABGB die sogenannte Wegehalterhaftung näher definiert wurde:
„Abs. 1: Wird durch den mangelhaften Zustand eines Weges ein Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so haftet derjenige für den Ersatz des Schadens, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist, sofern er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet hat.
Ist der Schaden bei einer unerlaubten, besonders auch widmungswidrigen Benützung des Weges entstanden und ist die Unerlaubtheit dem Benützer entweder nach der Art des Weges oder durch entsprechende Verbotszeichen, eine Abschrankung oder eine sonstige Absperrung des Weges erkennbar gewesen, so kann sich der Geschädigte auf den mangelhaften Zustand des Weges nicht berufen.
Abs. 2: Ein Weg im Sinne des Abs. 1 ist eine Landfläche, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen für den Verkehr jeder Art oder für bestimmte Arten des Verkehres benützt werden darf, auch wenn sie nur für einen eingeschränkten Benützerkreis bestimmt ist; zu einem Weg gehören auch die in seinem Zug befindlichen und dem Verkehr dienenden Anlagen, wie besonders Brücken, Stützmauern, Futtermauern, Durchlässe, Gräben und Pflanzungen. Ob der Zustand eines Weges mangelhaft ist, richtet sich danach, was nach der Art des Weges, besonders nach seiner Widmung, für seine Anlage und Betreuung angemessen und zumutbar ist.
Abs. 3: Ist der mangelhafte Zustand durch Leute des Haftpflichtigen verschuldet worden, so haften auch sie nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.
„Weg“ kann also vieles sein: Eine Autobahn ebenso wie ein Klettersteig oder eine „Alpine Route“, weil es auf die „erkennbare Bahnung am Boden“ ankommt. Kletterrouten sind nicht gebahnt, sind also keine Wege. Seilsicherungen bei Klettersteigen bzw. Bügel, Hängebrücken usw. sind Anlagen, die zum Weg gehören.
Wer für den ordnungsgemäßen Zustand eines Weges verantwortlich und verfügungsberechtigt ist und wer die Errichtungs- und Instandhaltungskosten trägt, ist Wegehalter. Bei den meisten beschilderten und markierten Bergwegen sind dies alpine Vereine, manchmal auch Gemeinden oder Fremdenverkehrsverbände.
Es gibt auch „halterlose“ Wege, z. B. alte Jagdsteige, Ziehwege, aufgelassene Wege, durch häufiges Begehen entstandene Steige und Abkürzungen, gebahnte „Alpine Routen“ usw., die manchmal auch – meist von Unbekannten – spärlich und unprofessionell „markiert“ und/oder beschildert worden sind. Für solche Wege gibt es demnach auch keine Wegehalterhaftung.
Wann aber ist der Zustand eines (Berg-)Weges mangelhaft? Die gesetzliche Definition bedarf im Einzelfall der richterlichen Auslegung. Was ist nach der Art und Widmung des Weges für seine Anlage und Betreuung angemessen und zumutbar? Hier sind an stark frequentierten Wanderwegen strengere Maßstäbe anzulegen als an steile, ausgesetzte – „rote“ oder gar „schwarze“ – Steige im hochalpinen Bereich. Zu fragen ist, was ein Wanderer oder Bergsteiger mit entsprechender Erfahrung von einem „blauen“, „roten“ oder „schwarzen“ Weg üblicherweise erwarten kann. Entsprechen die Wege diesen objektiven Kriterien?
Unterschieden wird zwischen „typischen“, den natürlichen Gegebenheiten entsprechenden, und „atypischen“, ungewöhnlichen, nicht erwartbaren, weil eben nicht von der Natur ausgehenden Gefahren.
Diese Unterscheidung ist für die alpine Wegebetreuung sehr wichtig: Bei künstlichen Einbauten, wie (Seil-)Sicherungen, Brücken, Geländern usw. kann der Benützer darauf vertrauen, dass sie auch halten! Ist dies nicht der Fall, stellt sich in einem Schadensfall die Frage der straf- und zivilrechtlichen Haftung.
Zivilrechtlich haftet der Wegehalter bzw. seine Leute nur bei Vorsatz – was wohl kaum jemals der Fall sein wird; welcher Wegebetreuer sägt z. B. ein Brückengeländer an? – oder grober Fahrlässigkeit, also bei auffallender Sorglosigkeit, die einen Schadenseintritt sehr wahrscheinlich erwarten lässt. Das ist z. B. der Fall, wenn Kontrollen nicht oder in zu großen zeitlichen Abständen durchgeführt und daher Mängel nicht rechtzeitig erkannt und behoben werden; oder wenn Einbauten überhaupt nicht sach- und fachgerecht ausgeführt werden. Auch mangelhafte Markierungen oder umstürzende Gipfelkreuze können haftungsbegründend sein. Erwartet werden Kontrollgänge zumindest einmal jährlich oder nach Unwettern oder Felsstürzen. Ist eine zeitnahe Sanierung nicht möglich, ist der Weg aus Sicherheitsgründen – vorübergehend – zu sperren! Hinweistafeln auf die Gefahrenlage, wie z. B. „Nur für Geübte“ sind nicht ausreichend, weil sie zu unbestimmt sind!
Für die strafrechtliche Haftung werden ähnliche Kriterien herangezogen. Bei Einhaltung der erwähnten zivilrechtlichen Sorgfaltsmaßstäbe kommt es üblicherweise auch nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung der im konkreten Fall verantwortlichen Personen. Verhängte Strafen wären allerdings von den Verurteilten selbst zu tragen.
Hingegen werden zivilrechtlich zuerkannte Schadenersatzbeträge von der Vereinshaftpflichtversicherung getragen. Dies gilt auch für die Verfahrenskosten, und zwar auch im Strafverfahren.
Kann ein Mountainbiker oder ein Motocross-Fahrer, der z. B. auf einem Wanderweg („Singletrail“) stürzt und sich schwer verletzt, Schadenersatzansprüche gegen den Wegehalter geltend machen? Nein, weil er den Weg widmungswidrig, das heißt unerlaubt, benutzt hat. Dies gilt auch auf Forstwegen mit allgemeinem Fahrverbot und/oder Abschrankungen. Anders verhält es sich natürlich bei Wegen, die ausdrücklich dem Radfahren gewidmet sind.
Klimatisch bedingt kommt es immer häufiger zum Auftauen der Permafrostböden, zu Wetterextremen und damit zu größeren Felssturz- und Steinschlagereignissen im Gebirge. Die Wahrscheinlichkeit eines (tödlichen) Personenschadens ist abhängig von der Frequenz der Steinschläge einerseits und jener der Wegebenützung andererseits. Beide Frequenzen können durch gezielte Beobachtungen über einen längeren Zeitraum „gemessen“ werden, z. B. mittels „R.A.G.N.A.R. – Risiko-Analyse Gravitativer Naturgefahren im Alpinen Raum“. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Steinschlagunfälle nie gänzlich ausgeschlossen werden können, behilft man sich – wie bei öffentlichen Straßen und Eisenbahnen – mit Unfall-Wahrscheinlichkeiten: Sind diese geringer als 1:100.000 bei „roten“ bzw. 1:10.000 bei „schwarzen“ Wegen, werden keine speziellen Schutzmaßnahmen gegen Steinschlag zu treffen sein.
Von der Tourismuswirtschaft ins Leben gerufene Weitwander- oder Themenwege – oder auch Pilgerwege - werden häufig über längere Wegabschnitte oder gänzlich auf bereits bestehende, beschilderte und markierte Wanderwege „gelegt“, deren Halter meist alpine Vereine sind. Die Wegbeschreibung ist oft nicht mit den Wegehaltern akkordiert und entspricht daher nicht den Schwierigkeiten solcher Wege: Meist wird die Begehung leichter geschildert, als sie tatsächlich ist. Die „Vermarktung“ solcher Wege führt zu einer erhöhten Besucherfrequenz, woraus sich die Frage einer erhöhten Wegehaftung ergeben kann: Wie oben ausgeführt, ist die Erwartungshaltung der Wegebenützer über den Zustand des Weges maßgebend für die Haftung. Man wird hier spezielle Vereinbarungen zu treffen haben, um z. B. Fragen über die zusätzliche Halterhaftung und/ oder eine Kostenbeteiligung solcher meist kommerziell orientierter „Anbieter“ zu klären.
Jedermann kann den Wald zu Erholungszwecken betreten und sich dort aufhalten (§ 33 Abs. 1 ForstG). Wer sich aber abseits von öffentlichen Straßen und Wegen aufhält, hat selbst auf alle ihm durch den Wald und dessen Bewirtschaftung drohenden Gefahren zu achten. Eine Pflicht des Eigentümers zur Abwendung von Gefahren in diesen Waldbereichen besteht nicht. Werden bei der Waldbewirtschaftung daran nicht beteiligte Personen getötet, verletzt oder deren Sachen beschädigt, haftet der Eigentümer nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Dieses Haftungsprivileg gilt ebenfalls für den Zustand einer Forststraße und für Wege, die der Eigentümer ausdrücklich der Benützung durch die Allgemeinheit widmet.
Schließlich kann es auch zu Personen- oder Sachschäden durch den Zustand des neben einem markierten Wanderweg liegenden Waldes kommen, z. B. durch herabstürzende Äste oder umfallende (morsche) Bäume. Auch hier haften der Waldeigentümer und seine Leute nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit (§ 176 ForstG).
Fazit: Kehren wir zum Ausgangspunkt zurück: Wir haben eine Bergtour mit vielen schönen Eindrücken und Erlebnissen erlebt, nichts Schlimmes ist passiert. Gottlob ist dies meistens so, weil die Eigenverantwortlichkeit – auch für die anvertrauten Schutzbefohlenen – entsprechend ausgeprägt ist. Grob schuldhaftes Verhalten Dritter kann aber schlimme Folgen haben. Dann stellt sich auch die Frage nach der Verantwortlichkeit der Haftenden. Die Berge sind kein rechtsfreier Raum.
Bericht und Fotos: Dr. Werner Radl, Wegereferent