Der verhüllte Villacher Stadtturm
(Foto: P.
Sillani)
Der Blick auf die alte Stadtmauer in Villach ist durch ein leerstehendes Einkaufsgebäude aus den 80-er Jahren verstellt. Im Stadtturm aus dem 13. Jahrhundert befindet sich die Zentrale des Alpenvereins - innen funktionell ausgebaut und von außen verschlafen wie Dornröschen. Bis – ja bis einige lose Handlungsfäden zum Melting Tower verschmolzen.
„Der Alpenverein wird 150 – da sollten wir ein Zeichen in der Stadt setzen“. Das niederschwellige Kunstprojekt „gemmakunstschaun“ sucht versteckte Räumlichkeiten für Veranstaltungen. Ein Funktionär verkauft sein Auto und investiert das Geld in Kunst statt in Ölkonzerne und Abgase. Ideale Voraussetzungen für eine Turmverhüllung – Wir schmeißen ein großes Leintuch über den Turm, er wird unsichtbar und die Villacher werden schauen.
Aber daraus wird ein komplexes Projekt wie eine Expedition ins Ungewisse. Grenzüberschreitend wird Elisa Vladilo aus Triest mit der Installation beauftragt. Sie hat bereits im Hafen von Triest die Mole verkleidet und eine Grenze vernäht.
Die Genehmigung des Denkmalamtes erhalten wir rasch und unbürokratisch. Die Vorgaben der Baubehörde sind einfach: Das Konstrukt muß einen Tornado, Tsunami und 1.000-jährige Feuersbrunst aushalten. Roberto, Schiffsbauingenieur aus Triest, und vertraut mit dem Starkwind „Bora“ findet die technische Lösung und wir bekommen ein „Permit“ für 3 Wochen.
Elisa organisiert das Material einen speziellen Filz, dieser wird vernäht, mit Lkw Gurten verstärkt und mit Schlaufen versehen. Das Technikteam der Bergrettung setzt einstweilen die notwendigen Bohrhaken.
Am Sonntag vor der Eröffnung beginnt die Verhüllung. Die morgendlichen Kirchgänger schauen verschlafen als die „Climbers“ am Dach herumturnen und mit der Arbeit beginnen. Als sie aus dem Gasthaus herauskommen reiben sie sich die Augen, denn unter dem roten Dach fließen orange, gelbe und pinke Streifen den Turm herab und versiegen im Mauergraben. „Wow - ist das Realität oder soll ich doch mit dem Trinken aufhören?“
Das schaut aus wie der Barbapapa, ein Zirkuszelt, irgendwie türkisch – ein Harem (dagegen verwehren sich Brigitte und Ingrid von der Geschäftsstelle), Rapunzel lass dein Haar herunter, so ein Blödsinn, das sollte so bleiben. Der Radiomoderator meint lakonisch: „Melting Tower? Ist die Feuerwehr in der Nähe?“
Die Eröffnung von „gemmakunstschaun“ findet mit ORF vor dem Turm statt und in den Ansprachen wird Alpenverein mit jung, dynamisch, grenzüberschreitend und gesellschaftspolitisch relevant verknüpft.
Mit dieser knalligen Markierung ist der Weg zu den Veranstaltungen leicht. Unter dem Titel „Tiefer und Verschütt gehen“ macht Gerhard Pilgram Lust auf die versteckten und zauberhaften Winkel im Karst. Für die Uraufführung der Literaturperformance „Der Mangart muß warten“ wird der Dachboden zum Theater im Biwak. Der Villacher Martin Mittersteiner (Ö1 Preisträger ) behandelt darin die existentiellen Ängste zweier eingeschneiter Bergsteiger.
Kunst verändert - im konkreten Fall die Sicht auf einen sehr alten Stadtturm und einen junggebliebenen Verein.
Wolfgang Gabriel, Alpenverein Villach