Bericht: Patrick Hubmann
Anfang September 2018 neigte sich mein Urlaub dem Ende zu und ich wollte noch eine „zünftige“ Bergtour machen, vor allem da ich wusste, dass in den nächsten zwei Monaten aus beruflichen Gründen bergsteigerisch nicht so viel möglich sein würde.
Der Piz Bernina im Engadin nahe St.Moritz ist mit 4049m der höchste Berg und gleichzeitig auch der einzige Viertausender der Ostalpen. Diesen Berg über seinen wunderschönen Biancograt zu besteigen war schon länger eine Idee von mir gewesen. Am meisten getaugt hat mir dabei die Idee den Berg in einem Zug vom Tal aus, also im sogenannten „Single-Push“-Stil zu besteigen ohne Hüttenübernachtung. Leider stand zum für mich passenden Termin kein Partner zur Verfügung, was mich natürlich wieder zum Nachdenken brachte ob es denn vielleicht sogar solo möglich wäre.
Ich fühlte mich konditionell, technisch und mental fit genug und nach einigem Hin und Her entschloss ich mich dazu über den Biancograt auf- und wieder abzusteigen. Das ist eher unüblich denn normalerweise wird der Berg überschritten, die meisten Bergsteiger steigen über den Spallagrat zur Marco e Rosa-Hütte ab, was wesentlich einfacher ist. Das kam für mich leider nicht in Frage, da man dann über ausgedehnte Gletscherflächen gehen muss, was alleine viel zu gefährlich wäre. Um dem Ganzen noch das gewisse Etwas zu geben wollte ich die gesamte Aktion in einem Tag von zu Hause (Leutasch bei Seefeld in Tirol) aus machen.
So war dann am 5.September um 2 Uhr Früh Abfahrt Richtung Engadin. Nach gut drei Stunden Fahrt gehts um kurz nach 5 am Parkplatz beim Bahnhof in Pontresina (1740m) mit dem Rad ins ziemlich flache Val Roseg. Nach einer dreiviertel Stunde geht der Fahrweg in einen Steig über und das Rad wird versteckt.
Schön langsam fängt es an zu dämmern und endlich gewinnt man merklich an Höhe. Nach insgesamt zwei Stunden komme ich an der Tschiervahütte (2573m ) vorbei, die normalerweise der Ausgangspunkt für diese Tour ist. Es bieten sich schon hier gewaltige Blicke auf den Tschiervagletscher und die hohen Dreitausender der Umgebung.
Inzwischen ist auch klar, dass es beim Kaltfrontdurchzug vor zwei Tagen oberhalb von 3000m doch einiges an Schnee gemacht hat. Mir kommen schon Bedenken ob überhaupt schon wer oben war, immerhin ist heute der erste schöne Tag. Sollte keine Spur sein, würde es für mich als Alleingänger extrem zäh werden auf den Gipfel zu kommen. Aber Probieren geht über Studieren, also weiter den Steig entlang, bis zum Beginn eines kleinen und spaltenarmen Gletschers, der sich zunehemend aufsteilt (bis ca.45 Grad) und schließlich auf die Scharte Fuorcla Prievlusa (3437m) führt. Ab jetzt geht’s ans Eingemachte. Zum Glück ist tatsächlich eine Spur vorhanden, sie ist ganz frisch und von 4 Personen, wie sich herausstellen sollte.
Es folgt der erste Felsteil, normalerweise im
3.Schwierigkeitsgrad, heute liegen aber ca. 30cm Schnee am Fels, was das
Klettern um einiges schwieriger macht. Es geht aber ganz gut und bald bin ich
am Einstieg des eigentlichen Biancogrates. Dieser ist eine wunderschöne
Firnschneide die sich schmal und mit bis zu 45 Grad Steilheit emporschwingt.
Ich spüre die Höhe schon deutlich und bin nicht mehr ganz so spritzig wie
unten, überhole aber trotzdem am Ende des Biancograts die zwei Seilschaften vor
mir die von der Hütte aus gestartet sind und die Überschreitung machen ( wie
jeder vernünftige Mensch ; ) ).
Ich staune nicht schlecht als ich mir den Übergang vom Piz
Bianco (3995m/ Endpunkt Biancograt ) zum Gipfel des Piz Bernina anschaue. Er
ist extrem ausgesetzt, schmal und sieht durch die Schneeauflage sehr abweisend
aus. Dieser Teil ist schon bei guten Verhältnissen 3+ bis 4-. Ich beschließe
mich an den schwierigsten Stellen selbst zu sichern, indem ich mein
30m-Halbseil durch einen Haken fädle und die beiden Enden bei mir einbinde. So
würde ich zumindest einen Totalabsturz vermeiden können. Nach fast genau 7
Stunden vom Bahnhof stehe ich auf dem Gipfel.
Die Gipfelrast fällt eher kurz aus, bei inzwischen schon sehr warmen Temperaturen, die sogar den Schnee hier oben weich werden lassen, mache ich mich wieder an den aufwändigen Abstieg. Als ich den zwei Seilschaften nochmals begegne schaue ich ihnen kurz neidvoll nach, da sie „nur“ mehr über den einfachen und viel kürzeren Spallagrat absteigen müssen und nicht wie ich über den Biancograt. Aber alles selber ausgesucht.
Das Abklettern und Abseilen ist teilweise mühsam und
zeitaufwändig. Zweimal verhängt sich bei meiner „Sicherungsmethode“ das Seil
und ich muss nochmals zurück das Seil befreien. Die Nerven sind schon merklich
angespannt nach den vielen Stunden im Absturzgelände, doch ich bin noch weit
oben. Endlich komme ich wieder zum Firngrat, der im Abstieg auch nicht ohne
ist. Der Schnee ist inzwischen sehr weich und es donnern weiter unten sogar
Nassschneelawinen ins Tal, die mich
direkt am Grat zum Glück nicht betreffen. Die Steigeisen stollen aber massiv an
und müssen nach fast jedem zweiten Schritt abgeklopft werden, da sonst große
Rutschgefahr bestehen würde. Nach einer weiteren angespannten Stunde bin ich
wieder am Beginn des unteren Felsteils. Da ich schon etwas die geistige
Müdigkeit merke, beschließe ich soviel wie möglich abzuseilen und nicht
abzuklettern, was länger dauert aber sicherer ist. Endlich gelange ich in die
Scharte und von dort noch rückwärts abkletternd über das Eisfeld auf den
kleinen Gletscher wieder zum Steig.
Dort gönne ich mir eine etwas längere Pause, in der Gewissheit aus den Gefahren raus zu sein. Es geht wieder raus und an der Tschiervahütte vorbei hinab ins Val Roseg. Inzwischen macht sich die Müdigkeit schon sehr stark bemerkbar und ich bin echt dankbar als ich endlich das Rad erreiche Jetzt brauche ich es nur noch rollen lassen und in zwanzig Minuten bin ich wieder draussen beim Auto. Es dämmert bereits wieder als ich Pontresina verlasse und um kurz nach zehn Uhr Abends bin ich wieder zu Hause. Interessanterweise konnte ich trotz des langen Tages fast nicht einschlafen, dauert wohl etwas bis das Adrenalin abgebaut ist : ).
Fazit: Piz Bernina solo in einem Tag von Haustür zu Haustür (20h ) ist möglich aber muss man nicht jeden Tag haben. Noch schöner wäre sicher die Überschreitung, die kommt dann ein anderes Mal!
Daten:
Entfernung: 30,67km
Höhenunterschied mit Gegenanstiegen: 2670m
Technische Schwierigkeit: IV-/45Grad/ZS+
Dauer Auto-Auto: 13h50min