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Ortler Nordwand (Ortler Nordwand Andi Mattischek)

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Ortler Nordwand

Ortler

Von Andreas Mattischek

 

Mitte Dezember 2015. Gerald ruft an und fragt, ob wir gemeinsam was machen wollen. Er erwähnt perfekte Bedingungen in der Ortler-Nordwand und fragt nach meiner Motivation. Die Frage hätte er sich sparen können…

26. Dezember 2015. Nach kleineren Terminfindungsschwierigkeiten steigen wir nun endlich schwer bepackt von Sulden aus Richtung Tabarettahütte auf. Unser Plan sieht vor, die Nacht im Winterraum der Hütte zu verbringen und die Wand dann morgen durchzuziehen. Die Wettervorhersage für morgen ist perfekt und wir fühlen uns fit. Bei der Hütte angekommen, genießt man einen herrlichen Blick auf diese gewaltige Wand. Direkt vor einem steht praktisch der Traunstein. Nur aus Eis, der Gipfel gut 2200m höher und ohne Hütte in Gipfelnähe. Man kann daher auch von weniger Verkehr wie auf dem Herndler ausgehen. Das für den Traunstein obligate, von Gerald gezapfte, Bier kann man aber auch vergessen.

Nach einem feudalen Abendessen (die Rucksäcke waren nicht umsonst so schwer), inkl. Elektrolytgetränk aus der Dose (zwecks der Regeneration) im perfekt ausgestatten Winterraum geht’s früh zu Bett. Die Nacht verspricht kurz zu werden, aber die Vorfreude auf morgen ist groß.

27. Dezember 2015, 03:45 Uhr. Der Wecker erlöst mich von einer Nacht, in der mindestens die Hälfte des Baumbestandes Suldens von Gerald umgesägt worden ist. Schnell gefrühstückt, Klettergurt angelegt und die gepackten Rucksäcke geschultert. Nach 30min Zustieg erreichen wir den Beginn der eigentlichen Wand. Steigeisen angeschnallt, denn ab hier wird’s ernst. Aufgrund der objektiven Gefahren durch Eisschlag und der Geländebeschaffenheit, ist es notwendig, die ersten, gut 600 Höhenmeter seilfrei und möglichst schnell zu bewältigen. Anfangs noch mäßig steil, stapfen wir also hintereinander, in Serpentinen den unteren Teil der Ortler-Nordwand hinauf. Durch den Lichtkegel unserer Stirnlampen kann man nicht viel erkennen, doch die Helligkeit der sternenklaren Nacht lässt eine gewaltige, uns umgebende Szenerie erahnen. Je weiter man sich der Gurgel nähert, jener Engstelle in der Mitte der Wand, welche den meisten Seilschaften als Anseilplatz dient, umso steiler wird es und umso mehr ist auch der Einsatz der Eisgeräte gefragt. Wir freuen uns über die absolut perfekten Bedingungen und pickeln in wunderbar gepresstem, um die 40 Grad steilem Schnee nach oben.

Hat man die Gurgel erst einmal erreicht, fallen die objektiven Gefahren zwar zum Großteil weg, doch wird die Wand ab hier auch steiler und wechselt von Schnee zu Eis. Unsere weitere Taktik sieht vor, dass der Vorsteiger die kompletten 40 Meter des uns verbindenden Seils ausgeht, dabei so wenig Zwischensicherungen als möglich setzt und immer dann, wenn das Seil aus ist, eine Rücklaufsperre an einer Eisschraube installiert, um sofort weiterklettern zu können. Diese Technik ermöglicht uns, dass wir in kurzer Zeit eine große Strecke zurücklegen können, da wir dabei gleichzeitig mehrere Seillängen hintereinander klettern können. Der Nachteil dieser Kampfansage an die Waden ist das höhere Risiko.

Nach einem Schluck aus der Thermoskanne und einem Müsliriegel beginnt Gerald die erste Seillänge durch die Gurgel vorzusteigen. Völlig problemlos bringt er die ersten Meter im Blankeis hinter sich und verschwindet danach im Schwarz der noch herrschenden Nacht. Als die 40m sich dem Ende neigen bereite auch ich mich vor. Da dies der erste Eiskontakt seit einem Jahr für mich ist, ist die Vorfreude groß. Jedoch bin ich auch ein wenig gespannt, wie es mir wohl ergehen wird. Die kurze Unsicherheit des Anfangs verschwindet aber recht rasch und so folge ich dem Seil in einem sportlichen Tempo in die Dunkelheit. Die Gurgel selbst präsentiert sich für ca. 60m komplett blank. Ein Hochgenuss für die Unterschenkel zu dieser frühen Uhrzeit. Nachdem ich dann doch schon einige Zeit unterwegs bin, frage ich mich schön langsam wie motiviert Gerry eigentlich heute ist? Da es bereits zu dämmern beginnt und er ja nur max. 40m von mir entfernt ist, habe ich nun schon ständig Sichtkontakt zu ihm. Meine Waden fühlen sich bereits an, als ob sie mit glühenden Kohlen gefüllt wären, doch er macht nicht die Anstalten, als ob er überlegen würde, in nächster Zeit einen Standplatz einzurichten. „Ich hoffe das Material geht ihm bald aus! Dann muss er Stand machen!“, sage ich mir selbst. An diesen Wunsch geklammert steige ich nun also, immer im selben, abwechselnden Rhythmus der Eisgeräte und Steigeisen, Schritt für Schritt höher. Die Bedingungen sind wirklich, wie vorhergesagt, ein Traum. Eine dünne, gefrorene Firnauflage liegt auf dem Eis und erleichtert das Klettern enorm. Der beginnende Tag lässt die umliegende Bergwelt in einem zarten Rot-Rosa erscheinen und die uns umgebende Kulisse tut ihr übriges zu dieser epischen Szene. Ich fühle mich wie in einer anderen Welt und kann kurz gar nicht glauben, wo ich mich gerade befinde. Alles was ich in diesem Moment empfinde, ist eine unheimliche Dankbarkeit, so etwas erleben zu dürfen. Doch die Schmerzen in meinen geläuterten Füßen, welche die 50 Grad steile Eiswand hervorruft, reißen mich unsanft aus diesem wunderschönen Traum.

Endlich, nach gefühlten 500, in Wirklichkeit aber nur gut 200 Metern, der erste Standplatz und somit auch die erste Möglichkeit seit Beginn der Gurgel, die Füße zu entlasten. Da wir super in der Zeit liegen, genießen wir kurz die atemberaubende Szenerie. Obwohl es im Tal ungewöhnlich warm ist für den 26. Dezember, ist es hier oben doch relativ kühl. Speziell wenn man sich nicht bewegt friert man schnell aus. Die Zehen und Fingern beschweren sich dabei als Erste und so wird das Blut in den Armen im Laufe des heutigen Tages noch des Öfteren in ausladenden Kreisbewegungen wieder zurück in die Finger gepresst. Außenstehende würden uns vermutlich für verrückt halten, weil es für sie wahrscheinlich so aussieht, wie wenn wir versuchen würden die Wand hochzufliegen, doch wie Vögel mit gestutzten Flügeln einfach nicht von der Stelle kommen. Gut das man hier relativ selten andere Menschen trifft.

Wobei…ganz alleine waren wir dann doch nicht. Kurz unterhalb der Gurgel wurden wir bereits von einer anderen Seilschaft überholt. Ötztaler…praktisch auf 3000m Geborene. Die Tatsache, dass einer der Beiden noch immer mit Tourenstöcken unterwegs ist, in einem Gelände wo wir schon die Eisgeräte benutzen, spricht Bände. Die zwei sind in der Früh von Sulden aus gestartet und denken scheinbar gar nicht daran, sich anzuseilen. Free solo bewältigen sie die Wand in einem Höllentempo. Eine Südtiroler Seilschaft, welche uns etwas oberhalb der Gurgel überholt, tut es ihnen gleich. Von den psychischen Anforderungen komplett abgesehen, braucht man dafür meiner Meinung nach zumindest Waden aus Stahl und eine Lunge wie ein Pferd. Anders kann das keinen Spaß mehr machen.

Die nächsten Seillängen führen uns über die Eisbalkone, welche sich im oberen Drittel mitten in der Wand befinden und die, aufgrund ihrer Steilheit, die letzten klettertechnischen Schwierigkeiten darstellen. Nachdem wir auch diese, im selben Stil wie vorher, überwunden haben, legt sich die Wand schön langsam zurück. Das ständig vorhandene Brennen in meine Waden lässt mich wissen, dass diese so und so schon vor langem w.o. gegeben haben. Aufgrund der ausgezeichneten Verhältnisse ist die Kletterei aber trotzdem einfach ein purer Genuss und entschädigt mich dafür um ein Vielfaches.

5 Stunden nachdem wir die Hütte verlassen haben, stehen wir dann nur zu zweit, bei strahlend blauem Himmel am Gipfel des Königs der Ostalpen. Ein unglaubliches Privileg und wunderschönes Gefühl! Im Windschatten genießen wir eine ausgiebige Gipfelrast, bei ungewöhnlich warmen Temperaturen. Da ich, weil ich den Abstiegsweg nicht kenne, zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß, was mich an diesem Tag noch erwartet, beginne ich bereits über unser heutiges Abendmahl zu sinnieren. Ein Burger und ein Bier…das soll’s werden. Gerald ist da irgendwie noch zurückhaltender. Ich sollte in Kürze herausfinden warum. Aber wer den Ortler Normalweg kennt der weiß: Ein Tour auf den Ortler, ist wirklich erst dann, wenn man wieder heil zurück in Sulden ist geschafft!

Der Abstieg gestaltet sich zu Beginn unschwierig. Über einen riesigen, leicht abfallenden Gletscher nähert man sich der von weitem sichtbaren Payerhütte. Nach kurzer Zeit gelangt man dann auf den Nordgrat, welcher noch einmal alle Konzentration verlangt. Vorbei an einer Biwakschachtel, bewegt man sich in ausgesetzte Kletterei, im teilweise 2. Grad, ohne Seil und zum Drüberstreuen mit Schnee und Eis durchsetzt, langsam abwärts. Ein Fehler, egal an welcher Stelle, würde hier mit ziemlicher Sicherheit eine weitere Gravur im Bergsteiger-Gedenkstein bedeuten. Mit den Steigeisen an den Füßen muss ich mich in dem Gelände extrem Konzentrieren. Da fehlt mir eindeutig die Routine. Gerald, der als Bergführer praktisch mit Steigeisen ins Bett geht, hüpft hingegen vergnügt von Stein zu Stein als wäre es ein flacher Waldweg, und nicht ein ausgesetzter Grat bei dem es links und rechts mehrere hundert Meter in die Tiefe geht. Als wäre das nicht genug, entpuppt sich eine vermutete Abkürzung als Sackgasse, was uns 200 extra Höhenmeter in einer wunderbaren, mit hüfttiefem Pulverschnee gefüllten Rinne beschert. Ich nehm‘s sportlich und seh’s als Training. Gerald hingegen wirkt dafür kurzzeitig eher unzufrieden. „Liegt vermutlich am Unterzucker“, sage ich mir.

Irgendwann ist aber auch das geschafft und wir erreichen erleichtert die Payerhütte. Ab hier sind die Hauptschwierigkeiten des Weges wirklich vorbei. Der Rest ist ein leichter, aber dafür langer, Wanderweg. Reine Kopfsache also. Wir fantasieren von Hamburgern und teilen uns die letzten Müsliriegelreste brüderlich. Vorbei an der Tabarettahütte, bei der wir unsere zurückgelassenen Sachen wieder aufnehmen, geht’s gemütlichen Schrittes Richtung Auto, welches wir dann auch, insgesamt 12 Stunden nach unserem Aufbruch, problemlos, gesund und zufrieden erreichen.

Das perfekte Ende eines perfekten Tages stellt dann mein Bett dar, in das ich, nach einem kurzen Burger-Zwischenstopp in Innsbruck, erledigt, aber überglücklich, um 11 Uhr in der Nacht falle.

 

Details zu Tour:

Ortler Nordwand, 1200m, 55°, II

Bilder: Gerald Stranzinger


Röte
Röte
Eisflanke
Schneefeld
Ortler Gipfelkreuz
sonnige Aussichten
 
 
 
 

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